Aus Mexiko // 19.02.2019 // agua quemada
Erst als fast nicht mehr ging, konnten wir das ganze Ausmaß des Raubes erahnen. Es hatte wie einige Wochen zuvor damit begonnen, dass es hieß, dass es gerade keinen Treibstoff mehr gäbe. Nur noch an einigen wenigen Tankstellen. Damals war das zwei oder drei Tage so gegangen. Nach einem oder zwei Tagen wussten es alle und richteten sich darauf ein.
Nur diesmal waren wir bereits bei Tag 10 angelangt. Kein voller Tank reichte für eine so lange Zeit, selbst wenn man nur zur Arbeit und wieder zurückfuhr. Das allernötigste erledigte.
Da das braune Gold rar war, hatte außer kilometerlangen Schlangen vor den Zapfsäulen, wo man sich noch mit dem Stoff versorgen konnte auch noch andere Folgen für die Umgebung: Aus den sonst von Smogwolken überlagerten riesigen Tälern in denen Toluca und Mexiko-Stadt liegen, wurden extrem verbesserte Luftwerte gemeldet, da viele Leute zwangsweise auf Busse, Metro und Fahrgemeinschaften umstiegen. Auch die abends vollkommen verstopften Straßen in denen ich sonst immer in waghalsigen Manövern zwischen den röhrenden Bussen, der Bordsteinkante und den Schlaglöchern auf meinem Drahtesel bewegt hatte, wirkten im Vergleich wie ausgestorben.
Und tief atmete ich die kühle Nachtluft ein. Ich rauschte durch die Nacht, am Horizont PEMEX aufleuchtend, hoch in der Luft und parallel neben meiner Fahrspur gen PEMEX, Pick-Ups, Taxis, Kleinwägen in einer langen Reihe und die Leute darinnen schliefen und einige unterhielten sich in der Dunkelheit der Straße und als ich dann den grell erleuchteten Tempel passierte, sah ich das dieser noch geschlossen war. Nur zwei Tankwarte lungerten unter den grellen Scheinwerfern herum.
Hoffnungen auf einen Tanklaster in der Nacht.
Doch um zu begreifen muss man tief in den Korruptionsdschungel Mexikos wandern. Politiker, ranghoher Beamte, Mitarbeiter des staatlichen Mineralölkonzerns PEMEX und der allgegenwärtige Narcotráfico, ein gigantisches Netzwerk, dass offiziellen Angaben zufolge seit circa sechs, aber wahrscheinlich seit etwa 20 Jahren Treibstoff abzapften. Dem staatlichen Mineralölkonzern PEMEX zufolge betrug der Verlust durch den Treibstoffklau im Jahre 2018 60 Mrd. mexikanischer Pesos, was um die 2,7 Mrd. Euro entspricht, bei einem gleichzeitigen Umsatz von circa 12 Mrd. Euro. Das entspricht laut meinem Taschenrechner 22,5% und mein Taschenrechner lügt nicht.
Der genaue Wert wird wahrscheinlich für immer ein Geheimnis der Pipelines und Tanklaster bleiben und ist auch irrelevant bei solchen Mengen. Man sollte sich aber vor Augen halten, dass Mexiko ein Land mit Erdölvorkommen, wo der Liter Treibstoff 20 Pesos (ca. 1€) kostet. Das ist verdammt viel, wenn man überlegt, dass dieser in Deutschland so zwischen 1,30 € und 1,70€ schwankt und Deutschland kein Erdöl fördert.
Das liegt zum Einen an den großzügigen Subventionen des Staates, der die wirtschaftsstarke Automobilindustrie mit Weltmarken wie VW, Audi, Mercedes und BMW nicht im Stich lassen kann, aber auch daran, dass Mexikos Erdölraffinerien immer weniger Gewinn abwerfen und die Erdölproduktion seit Jahren zurückgeht.
Experten werfen PEMEX vor jahrelang die notwendigen Investitionen in moderne Technik und Knowhow versäumt zu haben, ein Faktor, der das Leben und den Transport in Mexiko billiger machen würde, aber da waren wohl einige Herrschaften mit anderen Dingen beschäftigt. Erst mit der Energiereform von 2013 durften Konzessionen an private Unternehmen vergeben werden. Doch ein kurzfristiger Anstieg der Gewinne ist nicht zu erwarten. Ohne Zweifel bleibt die Frage, ob das der ohnehin kontaminierten Luft in vielen Städten guttun würde, offen – wahrscheinlich nicht. Wie dem auch sei. Zukunftsmusik.
Die huachicoleros (Personen, die sich mit Diebstahl und illegalem Verkauf von Treibstoff und verfälschten alkoholischen Getränken befassen)sind so tief verwurzelt in diesem Land, dass es im mexikanischen neben dem Substantiv auch das Verb huachicolear gibt, um den Klau zu beschreiben, der übrigens viele Formen hat. Angezapfte Pipelines sind da das simpelste.
Ich hab´ über zwei Ecken von jemandem gehört, der zeitweise in einem der Verladezentren gearbeitet hat, wo der Treibstoff in die Tanklaster gepumpt wird. Aus Sicherheitsgründen werden diese immer nur zu 70% befüllt und um einen Raub vorzubeugen, beim Einfahren – leer – und beim Hinausfahren zu 70% beladen gewogen. Wenn sich aber beim ersten Wiegen ein paar richtig schwere Typen an den Laster hängen, kann man ihrem Gewicht entsprechend bis zu 20% mehr Treibstoff einfüllen und gewinnbringend verkaufen, natürlich etwas billiger als den offiziellen Teil der Last.
Und wenn einer dann doch nicht mehr mitmachen will, dann wird Señor X kurz zum Auto gebeten, um etwas zu besprechen und als sein Blick in den Kofferraum mit den zwei Sturmgewehren fällt, die Anmerkung gemacht, dass man doch in Frieden zusammenarbeiten möchte, oder nicht?
Da überlegt man nur einmal.
Auch an Abnehmern hat es wohl nicht gefehlt. Tankstellen, die den billigeren Treibstoff kauften, konnten diesen mit größerer Gewinnspanne verkaufen.
Als ich einen Freund etwas ausfragte, wie das denn alles funktionieren würde, kam er zu dem Schluss, dass die Tankstellen die nun leer und verwaist am Straßenrand lagen, all die Jahre das gestohlene Benzin gekauft hatten.
„Na klar. ´n bisschen mehr einstecken und jetzt wo das Verteilungssystem verändert werden soll, stehen sie mit leeren Händen da.“
Alles hatte Ende des vergangenen Jahres (2018) mit der Ankündigung Andrés Manuel López Obradors, kurz AMLO, begonnen als dieser nur einen Monat nach seiner Amtseinführung den huachicoleros den Krieg erklärte.
Pipelines wurden stillgelegt, andere vom Militär bewacht und so die Lieferung weitestgehend auf Tanklaster verlagert, etwas 5.000, die nun von Soldaten be- und überwacht werden. Und so bleiben viele Tankstellen leer, die die den Stoff liefern können, haben oft kilometerlange Schlangen der Wartenden zu bewältigen und als ich wieder einmal an so einer Schlange vorüberfuhr und hinter einem Mann, der seinen klapprigen VW Käfer schob, einen anderen erblickte, der seinen schnittigen, aerodynamischen Ferrari gen Zapfsäule drückte, senkte ich mein Haupt, faltete die Hände und sandte ein Stoßgebet aus:
„Ich danke dir oh du wahrhaft großer Treibstoff und deinen Söhnen Benzin und Diesel, denn in deiner Abhängigkeit von dir sind wir alle gleich und in dir vereint.“
Man hört von Engpässen, Verbände warnen, dass die Nahrungsmittellieferung zusammenbrechen könnte und bis 14.1.2019 hatte der Engpass zwischen 10 und 15 Mrd. Pesos (zwischen 450 und 687 Millionen Euro) gekostet. Und so gespalten ist die Gesellschaft, zwischen auf der einen Seite Erleichterung, dass gegen den Klau vorgegangen wird und andererseits über die Unkoordiniertheit des Vorgehens und die deutlich zu spürenden Einschränkungen und Verluste für all jene durch Alltag eingeschränkt ist oder deren Berufe fest mit der Mobilität zusammenhängen: Frischwarenhändler, Taxifahrer, Tankwarte.
Und dann gibt es noch die, die schon immer vor AMLO, diesem Linkspopulisten gewarnt hatten und sich die Tage unter Calderón oder Peña Nieto loben und dann Vergleiche in sozialen Netzwerken anstellen, wie unter AMLO fehle Benzin und unter Nieto (nur) Studenten, in Anspielung auf die 43 verschwundenen Studenten in Ayotzinapa 2014, die einen Höhepunkt der offensichtlichen Verwicklung von Politik, Polizei und den Narcos darstellten.
Als dann am 18.1.2019 eine der angezapften Pipelines in der Nähe Tlahuelilpans in Hidalgo in die Luft ging, wurden viele der rund um die Pipeline versammelten Menschen in den Tod gerissen. Anfangs war von 66 Toten die Rede. Bis zum 8.2.19 stieg die Zahl auf 130 und noch immer befinden sich viele auf einer Gratwanderung zwischen Leben und Tod. Auf einem Video ist ein weites Feld zu sehen. Viele Leute sind mit Kanistern gekommen, um den Treibstoff, der fröhlich in einer meterhohen Fontäne aus dem Boden spritzt einzufangen. Gegen Abend ging alles in die Luft. Angeblich hatte PEMEX Stunden vor der Explosion von dem Leck erfahren, aber es für sehr klein befunden. Und so reiht sich das Unglück von Tlahuelipan in die Reihe tödlichster Explosionen von PEMEX Leitungen, Pipelines und Raffinieren ein: die Explosion von der Raffinerie 1984 in San Juanico, noch immer einer der gewaltigsten Industrieunfälle der Menschheit und das Unglück von Guadalajara 1992, bei dem ein Benzin-Luft Gemisch im Kanalnetz sich entzündete und ganze Straßenzüge zum Einsturz brachte.
Außer das der damalige Gouverneur Jaliscos zurücktreten musste, wurden keine Verantwortlichen gefunden. Und auch AMLO der seine Zähne fletschte, hat wohl außer den kleinen Schafen das Leben schwer zu machen und den Raub einzudämmen, wenig erreicht. Das gewaltige Netzwerk, die großen Haie werden sich wohl ein anderes Metier suchen oder einfach etwas abwarten.
Nun habe auch ich endlich mal eine „Ölkrise“ miterlebt. Leibhaftig, am eigenen Leib. Wenn auch eine kleine. Ich glaub´ es geht noch viel schlimmer. Es war wie ein kleiner Blick in die Zukunft, der mir klar vor Augen geführt hat, wie abhängig wir von unserem Stoff sind. Auch wenn ich dieses Mal nicht so stark davon war und die Auswirkungen nicht am eigenen Leib spürte, so waren sie doch visuell wahrnehmbar: In den kilometerlangen Schlangen, in der Notwendigkeit dem Klempner ein Taxi zu bezahlen, damit er vorbeikommen möge.
Vor einiger Zeit sah ich die Dokumentation Farm for the future. Was klar wird: Gibt es eines Tages kein Öl mehr, wird es auch keine Nahrung mehr für uns geben. Gigantische Transportwege, viele Dünger und Pflanzenschutzmittel und Pestizide, das Sähen und Ernten; sie alle sind auf das Öl angewiesen, sind wir heutzutage angewiesen, wenn es um unsere Nahrung geht. Und wie viele Bauernhöfe gibt es noch, die nicht zumindest einen Traktor nutzen, der sich auch nach Diesel sehnt.
Der Peak – Oil, der Zeitpunkt, in dem wir den maximalen Ertrag von Rohöl fördern, ist mit den konventionellen Fördermethoden schon seit circa 2005 erreicht und dauert noch an. Unkonventionelle Methoden wie z.B. Ölsand werden das Ölfördermaximum noch bis circa zwischen 2050 und 2100 verzögern.
Danach wird den Regeln des kapitalistischen Marktes das Öl erstmal teurer und teurer und somit auch die Lebensmittel und auch sonst alles, was unsere Leben und dieses Blut der Erdkruste verbindet: Kraftstoffe, Wärmegewinnung und Kunststoffe. Und ganz nebenbei entsteht CO², wenn man den Kraftstoff verbrennt. Danke CO², bald wird man auch die grünen Strände von Grönland im Sonnenbad würdigen können. Oder anders gesagt: Wir laufen auf verschiedenen Ebenen in ein offenes Messer.
Und zur etwa gleichen Zeit wie AMLO dem huachicolero dem Krieg erklärte, hatte sein größenwahnsinniges Pendant im Norden am 21.12.18 nichts besseres zu tun als den bisher längsten Shutdown von 35 Tagen auszurufen, weil dieser beschissene Kongress mit den beschissenen Demokraten ihm einfach nicht die 5,7 Dollar für sein Mäuerchen an der Grenze zu Mexiko bewilligen wollte.
Offiziell spricht er ja immer von den Invasoren, den Horden, die aus Mittel- und Südamerika kommen würden, all diese Vergewaltiger und Gangster, gegen die diese Mauer notwendig wäre, doch ich denke ich weiß es besser. Donald hat nur Angst um sein Öl. Und er hat Recht. Eines Tages werden wir kommen.
Bild: Quelle: DPA/Z1022 Patrick Pleul